AVIA: Hallo Gerd, Glückwunsch nachträglich zum 47. Geburtstag und Glückwunsch zu Deinem siebenten Sinn, was den ersten Weltcupsieg von Stephan Leyhe angeht…
Gerd Siegmund: Vielen Dank. Dieses Drehbuch haben sie wahrscheinlich in Hollywood geschrieben. Das ist fast schon zu kitschig, um wahr zu sein. Mit 28 Jahren gelingt ihm der erste Weltcupsieg, und das in seinem Wohnzimmer und dann noch zum Jubiläum 25 Jahre Willingen. Wahnsinn, wenn Träume so wahr werden.
AVIA: Dabei verkörpert Stephan Leyhe so ziemlich das Gegenteil des Typus‘ Hollywoodstar. Wie hast Du ihn kennengelernt?
Gerd Siegmund: So wie er im Fernsehen und in der Öffentlichkeit rüberkommt, ist er tatsächlich: Ein ruhiger Zeitgenosse, der sich viel Zeit genommen hat auf dem Weg nach ganz oben. Als Junior konnte er sein bestes WM-Einzelresultat mit Rang 15 im Jahr 2012 einfahren. Gerade deshalb ist es so schön anzusehen, wie sich die beharrliche Arbeit letztlich lohnt. Die Geduld hat sich ausgezahlt – und das trifft ja im deutschen Team auch auf Karl Geiger oder einen Pius Paschke zu. Es ist also noch nicht alles zu spät, wenn man als Junior keine Medaillen holt.
AVIA: Hast Du etwas Spezielles erkannt, was Stephan Leyhe nun den letzten Kick zum Siegspringer gegeben hat?
Gerd Siegmund: Ich denke, es ist die Erfahrung, da oben als einer der letzten auf dem Balken zu sitzen und zu wissen, wie reagiert Dein Körper, wenn dir Dir die Gedanken in den Kopf schießen, dass Du gewinnen kannst. Und was muss ich dann tun, um cool zu bleiben? Das kannst Du im Training nicht simulieren. Das lernst Du nur in Wettkämpfen, wenn Du solche Situationen meistern musst. Dass dies nicht so einfach ist, sieht man ja auch bei Gregor Schlierenzauer, der diese Herausforderung trotz seiner 53 Weltcupsiege auch nicht so locker hinbekommt.
AVIA: Bei Leyhe sind es also eher mentale Gründe als sportspezifische?
Gerd Siegmund: Beides. Sicher hat Stephan in diesem Winter durch bereits gute Ergebnisse mehr Selbstvertrauen bekommen. Und rein vom Sprung her ist seine Vorlage noch etwas besser in die Richtung gedreht.
AVIA: War es aus Deiner Sicht die richtige Entscheidung, den Sonntag in Willingen abzublasen?
Gerd Siegmund: Klares Ja. Ich habe auch mit Leuten gesprochen, die am Sonntag noch an der Schanze waren. Es wäre sicher kein ansehnliches Springen geworden. Aber es war einfach zu gefährlich, auch für die An- und Abreise der Zuschauer und die Leute, die mit Auf- und Abbau an der Schanze zu tun haben. Deshalb freut es mich auch für die Willinger Organisatoren sehr, dass sie am Samstag für die vielen Mühen auch bei der Präparation der Anlage belohnt wurden.
AVIA: Wie beurteilst Du vor dem Skifliegen am Kulm den Vierkampf im Gesamtweltcup?
Gerd Siegmund: Stefan Kraft hat jetzt 68 Zähler Vorsprung auf Karl Geiger, und dass dem Weltrekordler das Skifliegen - noch dazu vor heimischem Publikum - liegt, braucht eigentlich nicht erwähnt zu werden. Dennoch ist das Rennen noch völlig offen. Elf Wettbewerbe gibt es noch. Nach dem Riesenbakken am Kulm geht es auf die Normalschanze in Rasnov. Diese Umstellung ist auch nicht so einfach zu meistern. Es bleibt also spannend, wenngleich Stefan Kraft die beste Ausgangslage besitzt.
AVIA: Danke für Deine Einschätzung, wir werden die Wettkämpfe gespannt weiterverfolgen.