AVIA: Zunächst einmal zum deutschen Mann des Wochenendes: Stephan Leyhe landete vor seinem Heimspringen in Willingen das erste Mal in dieser Saison auf dem Podest. Ein besseres Drehbuch hätte es nicht geben können?
Gerd Siegmund: Stimmt. Der Lokalmatador ist besser in Form denn je. Das passt zeitlich ideal für ein persönliches Highlight in seiner Laufbahn. Und auch für die Willinger, die viel Aufwand betrieben haben, um eine bestens präparierte Schanze hinzubekommen, ist es sicher eine Belohnung. Kaum vorstellbar, was dort los sein würde, wenn der Lokalheld daheim seinen ersten Weltcupsieg feiert.
AVIA: Für den gibt es aber auch viele andere Anwärter.
Gerd Siegmund: Das ist das extrem Coole an diesem Winter. Und um das Gelbe Trikot gibt es nach wie vor einen spannenden Vierkampf, in dem auch Karl Geiger noch mitspielt. Letzten Winter hat er zum Beispiel ein Springen in Willingen gewonnen. Die Schanze sollte ihm also liegen.
AVIA: Missfällt ihm die Rolle des Gejagten? Oder anders gefragt: Denkt er zu viel über seine Erfolge und was noch kommen könnte nach?
Gerd Siegmund: Das glaube ich nicht. Er ist ja nicht unter der Last des Gelben Trikots in Sapporo zusammengebrochen. Es ist auch nach wie vor so, dass – um ganz vorn zu landen – alles zusammenpassen muss: Der Sprung und auch die Windverhältnisse. Das hat auch Sapporo wieder gezeigt.
AVIA: Mit dem Riesenvorsprung von Stefan Kraft am Sonntag hatte es den Anschein, der Österreicher hat in Japan einen Schritt nach vorn gemacht und könnte sich nun in Willingen etwas aus dem Quartett absetzen. Wie siehst Du es?
Gerd Siegmund: Das würde ich nicht unterschreiben. Sapporo und besonders Willingen gehen schon in die Richtung Flugschanze, und auf den ganz großen Anlagen sehe ich Ryoyu Kobayashi und Kraft etwas stärker. Dafür können Geiger und Dawid Kubacki auf der Großschanze etwas ausrichten. Mit Willingen und den Fliegen am Kulm und in Vikersund sind noch drei sehr große Schanzen im Saisonprogramm, der Rest sind Großschanzenspringen plus die Normalschanze in Rasnov. Die Skiflug-WM zum Abschluss in Planica wird nicht im Weltcup gewertet. Alle können also noch ihre Stärken ausspielen.
AVIA: Schon vor Leyhes Podestplatz in Sapporo zeichnete sich ein volles Haus in Willingen ab. Dein Tipp für Kurzentschlossene?
Gerd Siegmund: Meines Wissens ist Samstag ausverkauft, für Sonntag gibt es Restkarten. Ich denke, auch der Freitag lohnt sich für den Besucher, obwohl dann nur die Qualifikation stattfindet. Aber die zählt für die Springer schon etwas, denn durch die Extrawertung der „Willingen-Five“ gibt es auch Extrapreisgeld zu gewinnen. 25.000 Euro will sich keiner entgehen lassen. Weil alle fünf Durchgänge des Wochenendes in die Wertung kommen, gehen die besten auch schon in der Quali volles Risiko. Und mit der Teamvorstellung inklusive Startnummernübergabe, Musik und Feuerwerk hat der Freitag auch einiges zu bieten.
AVIA: Fast zeitgleich zu den Herren bestritten die Damen in Oberstdorf ihren zweiten Weltcup nach Klingenthal auf einer Großschanze in Deutschland. Was hast Du für einen Eindruck von den fliegenden Mädels?
Gerd Siegmund: Zuerst muss man ihnen mal ein Kompliment aussprechen, wie sie die miesen Wetterbedingungen gemeistert haben. Im Fernsehen war das gar nicht so gut zu erkennen. Zwei Tage Dauerregen waren sicher nicht einfach. Ich denke, die Entwicklung ist gut, auch wenn es das Leistungsgefälle noch viel deutlicher ist als bei den Herren. Aber auch bei den Damen zeichnet sich ein spannender Kampf um den Sieg im Gesamtweltcup zwischen Chiara Hoelzl und Maren Lundby ab.
AVIA: Und aus deutscher Sicht?
Gerd Siegmund: Da sehe ich in Juliane Seyfarth eine Athletin, die mit ihrem stabilen Flugsystem auf der großen Anlage aufs Podest fliegen kann. Für Katharina Althaus sollte dies mit ihrer Absprungkraft vor allem auf der Normalschanze möglich sein.
AVIA: Zur Zeit wird der Ruf der Damen nach einem Start bei der internationalen 4 Schanzentournee lauter. Wie siehst Du das Thema?
Gerd Siegmund: Das Thema ist zu komplex, um es in eine Antwort zu fassen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Damen bei der Tournee dabei wären. Der Start der Tournee sollte ebenfalls in Oberstdorf sein und das Finale in Bischofshofen. Alles andere wäre meiner Meinung nach ja nicht die Tournee, wie sie die Fans kennen. Eine Möglichkeit wäre, um den Zeitplan zu straffen, das Starterfeld der Damen etwas zu reduzieren. Ich kann mir vorstellen, dass man sich dabei an der Weltrangliste orientiert. Der wesentliche Punkt, um die Damen zu integrieren, ist allerdings, dass in Innsbruck und Garmisch-Partenkirchen eine Flutlichtanlage errichtet werden muss, um zeitlich flexibel zu bleiben und die Springen auch bei Verschiebungen durchführen zu können.
AVIA: Lassen wir uns überraschen, wir werden die Entwicklungen weiter beobachten.