Wellingers Silber beim Ritt auf der Rasierklinge


Fantastischer Skisprungsport wurde in der ersten WM-Woche in Trondheim geboten. Nika Prevc (Slowenien) und Marius Lindvik (Norwegen) heißen die Normalschanzensieger. Die Norwegerinnen holen sich die Krone im Teamspringen. Wir haben AVIA-Skisprungexperte Gerd Siegmund um seine Einschätzungen gebeten.

AVIA: Was beurteilst du insgesamt das Herrenspringen auf dem kleinen Bakken?

Gerd Siegmund: Das Springen auf der kleinen Schanze ist normalerweise immer sehr spannend, weil viele in einem kleinen Weitenbereich landen. Aber dass es so spannend wird, war dann doch außergewöhnlich. Ich habe ein extrem hohes Niveau gesehen. Wobei man sagen muss, die Jury hat es ein bisschen zu einem Ritt auf der Rasierklinge kommen lassen. Sie hat schon sehr weit springen lassen. Im Nachhinein sagt man, wow, alles super! 108 Meter mit Telemark, das hatte schon eine Extraklasse.

AVIA: Du sprichst vom neuen Weltmeister Marius Lindvik aus Norwegen. Was sagst du zu ihm?

Gerd Siegmund: Erst einmal herzlichen Glückwunsch! Ehrlich gesagt, hatte ich eher mit seinem Landsmann Johann André Forfang gerechnet. Lindvig stand in diesem Winter vor der WM erst einmal auf dem Podest, beim letzten Weltcup vor Trondheim wurde er in Sapporo Zweiter. Also wer sechs Meter über Hillsize im Telemark landet, hat Gold verdient. Im Wettkampf ist er über sich hinausgewachsen. Er ist jetzt Olympiasieger, Skiflug-Weltmeister und Normalschanzen-Weltmeister. Er ist ein Mann für solche Events, wobei er im Sommer auch schon sehr stark gesprungen ist. 

AVIA: Silber für Andreas Wellinger und Platz vier an Karl Geiger – wer außer dir hätte nach zwei Monaten ohne Podestplatz an solch ein tolles Ergebnis geglaubt?

Gerd Siegmund: Ich hatte es angekündigt, dass niemand einen Andreas Wellinger abschreiben darf. Man sollte nicht vergessen: Im Weltcup gab es zuvor kein Normalschanzenspringen. Und dass er nicht so weit weg war, das hat sich bestätigt: Er muss einfach die Kante treffen, seine Technik springen und auf seine Skiführung achten. Das alles hat funktioniert. Silber ist der Lohn.

AVIA: Und die in der Saison alles überragenden Österreicher wären beinahe ohne Medaille weggegangen. Wie erklärst du dir das?

Gerd Siegmund: Wenn du es gewöhnt bist, alle zu dominieren und startest dann mit einem schlechten Training in die WM, kann schon mal das Kopfkino einsetzen. Jan Hörl hat mit Bronze dafür gesorgt, dass sie mit einem blauen Auge davongekommen sind. Vielleicht hängt es auch ein bisschen mit der Spur zusammen, die durch den Regen etwas rauer geworden und vielleicht nicht mehr ganz so abgezogen ist.

AVIA: Deutschland hat zudem richtig Frauenpower zu bieten. Da freust du dich sicher besonders drüber, oder?

Gerd Siegmund: Natürlich, weil Selina Freitag ihre Topleistungen aus dem Weltcup auch zum Saisonhöhepunkt abgerufen hat. Das ist nicht selbstverständlich, zeigt auch, dass sie – vor allem mental - gereift ist. Nika Prevc war ist momentan einfach nicht zu schlagen und die verdiente Weltmeisterin.  

AVIA: Wie schätzt du die deutschen Aussichten auf der Großschanze ein?

Gerd Siegmund: Sehr gut. Im Mixed haben wir seit der WM 2017 in Lahti immer Gold geholt und auch die zwei Weltcupspringen in diesem Winter gewonnen. Die Charakteristik der Großschanze ist aber anders, der Radius im Anlauf sehr flach und langgezogen. Aber ich denke, wer bisher Probleme hatte, wird sie auch weiter haben. Und wer gut drauf ist, wird das auch auf der großen Anlage zeigen.

AVIA: Danke fürs Gespräch.

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