Wo liegt der Fehler im System? Wie ist die Durststrecke erklärbar?

Nach dem zweiten Weltcup-Wochenende des Winters in Zakopane sorgen sich die Skisprungfans hierzulande um die Form der Doppel-Weltmeister Markus Eisenbichler und Karl Geiger. Wie ist die Durststrecke nach überzeugenden Leistungen zu Saisonbeginn erklärbar? Wir haben bei AVIA-Skisprungexperte Gerd Siegmund nachgefragt.


AVIA: Hallo Gerd, ergebnismäßig zeigt die Formkurve bei den deutschen Ski-Adlern ziemlich nach unten. Was bedeutet das mit Blick auf die Heim-WM in Oberstdorf, die in knapp zwei Wochen beginnt?

Gerd Siegmund: Ich würde mal sagen, es herrscht Alarmstufe Rot. Wenn du eines nicht haben willst so kurz vor der WM, dann ist es so ein Wochenende wie das jetzt in Zakopane. Der Bundestrainer und der ganze Trainerstab sind jetzt gefordert, das Richtige zu tun. Es steht noch der Weltcup in Rasnov an. Die kleine Schanze finde ich jetzt gar nicht so schlecht. Ein gutes Ergebnis wäre wichtig für das Selbstverständnis und die Stimmung beim Saisonhöhepunkt. Und ein Karl Geiger hat auf der Normalschanze seine Stärken schon mehrmals bewiesen. 

AVIA: Aber er ist auch Skiflug-Weltmeister geworden, Mitte Dezember war das. Momentan zittert er sich in den zweiten Durchgang. Was ist da los?

Gerd Siegmund: Bei ihm ist es schwer nachvollziehbar. Ehrlicherweise lässt sich von außen nur mutmaßen, ob es tatsächlich an dem forcierten Krafttraining für die WM liegt, ob sich dadurch die Sitzposition so verändert hat, dass der Impuls beim Absprung und die Drehung in die Vorlage nicht mehr so funktionieren wie am Anfang der Saison. 

AVIA: Am besten wäre, das gehört alles zu einem Bluff, um die Konkurrenz in Oberstdorf zu überraschen…

Gerd Siegmund: Wenn ich bei den Interviews in sein Gesicht schaue, sehe ich eher etwas Ratlosigkeit als die Absicht, die Gegner zu bluffen.

AVIA: Wie schätzt Du Markus Eisenbichler, der in Zakopane als bester DSV-Adler Zwölfter wurde, ein?

Gerd Siegmund: Bei ihm bin ich zuversichtlich: Er hat die Schanze in Zakopane selbst als „Hobel“ bezeichnet. Es kann durchaus sein, dass sich die Charakteristik einer Anlage mehr oder weniger mit einem Sprungstil verträgt. Klar stimmt es auch, wer in Form ist, springt auf jeder Schanze. Markus war aber schon Mitte Januar in Zakopane Achter und stand danach in Willingen oder Klingenthal wieder auf dem Podest. 

AVIA: Im Skispringen kann sich die Lage schnell ändern. Auf was kommt es jetzt aus Deiner Sicht an?

Gerd Siegmund: Ein altbekannter Spruch in der Krise lautet: Ruhe bewahren und Sicherheit ausstrahlen. Das ist natürlich viel leichter gesagt als getan. Aber was bleibt denn Stefan Horngacher, außer vor seinen Jungs herauszustellen, dass sie das Skispringen nicht verlernt haben können. Der Chef und seine Co-Trainer müssen das Positive herausarbeiten, das Selbstvertrauen quasi herbeten. Nach dem Team-Debakel Mitte Januar in Zakopane gab es danach in Lahti auch eine Reaktion.

AVIA: Der Chefcoach hat angedeutet, dass im Materialbereich geschaut wird, ob es Reserven gibt. Was denkst Du?

Gerd Siegmund: Klar, alles muss hinterfragt und nach Möglichkeit optimiert werden. Ich weiß auch, dass die Deutschen vor der WM im Anzugbereich noch etwas im Kescher haben. Sich aber darauf zu verlassen, wäre fahrlässig, zumal andere Nationen das sicher auch vorhaben. 

AVIA: Was vor allem bedenklich stimmt: Über das Weltcupteam hinaus läuft es momentan im deutschen Skispringen nicht gut. Was meinst Du dazu?

Gerd Siegmund: Nicht gut ist ein bisschen untertrieben. Die Ergebnisse der zweiten Reihe im Continental-Cup und auch die bei der Junioren-WM in Lahti sind desaströs. So ehrlich muss man bei der Betrachtung und müssen auch die verantwortlichen Trainer bei der Analyse sein. Es scheint irgendwo ein Fehler im System zu liegen. Den gilt es zu ergründen.

AVIA: Der geneigte Fernsehzuschauer hört in diesen Tagen auch mal den Ratschlag, dass die Athleten ein Bier trinken sollten, um auf andere Gedanken zu kommen. Was hältst Du von solchen Strategien?

Gerd Siegmund: Für mich ist das eine Humbug-Diskussion. Was soll das denn? Im Zeitalter der Leichtgewichte wird schon lange kein Bier mehr getrunken, eher mal Schafkopf gespielt. Aber auch das ist in diesen Zeiten natürlich schwierig. Biertrinken bringt nichts, außer einen schweren Kopf. Am Ende hat jeder seine eigenen Probleme zu lösen. Ich kenne es nur so, dass ein Bier getrunken wird, wenn man gewonnen hat.  

AVIA: Dann hoffen wir mal, dass es spätestens in Oberstdorf ein Gold-Bier gibt. Vielen Dank fürs Gespräch. 

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