AVIA: Hallo Gerd. Du hattest mit der Befürchtung, dass sich die deutsche Mannschaft in die Guten und die Schlechten aufteilt, leider Recht behalten. Was nun?
Gerd Siegmund: Nun scheint guter Rat teuer. Das Teamspringen war schon sehr enttäuschend, vor allem der riesige Rückstand. Das sind rund 67 Meter auf die Österreicher gewesen und die hatten mit Stefan Kraft ihren besten Athleten nicht mal am Start. Ich sage: Die Deutschen brauchen jetzt dringend ein Erfolgserlebnis in Lahti, wo ja erneut ein Teamwettkampf, der letzte übrigens vor der Heim-WM in Oberstdorf, ansteht.
AVIA: Hast Du eine Erklärung für den Abwärtstrend nach der Tournee?
Gerd Siegmund: Schwierig. Man muss die Deutschen differenziert betrachten. Markus Eisenbichler ist nicht weit weg. Platz acht entspricht sicher nicht seinen und unser aller Erwartungen. Aber dass er es noch kann, hat er mit dem weitesten Probesprung gezeigt. Bei Severin Freund stimmt die Entwicklung. Da dürfen wir nicht vergessen, dass er wegen seinen Knie- und Hüftverletzungen zwei Jahre keinen Wettkampfsprung gemacht hat.
AVIA: Und der Rest?
Gerd Siegmund: Die Leistungen im Einzel von Martin Hamann und bei Pius Paschke um die Top 15 waren okay. Bei Constantin Schmid weiß ich nicht, ob ein weiterer Einsatz in Lahti Sinn ergibt oder er eher ins Training gehen sollte. Auch Karl Geiger ist ein bisschen in ein Loch gefallen. Er bekommt die Drehung im Flug nicht mehr so gut wie zur Tournee hin. Das kann schon Ursachen im physischen Bereich haben. Wenn die Frische etwas fehlt, kann sich das auf die Sitzposition auswirken und letztlich den ganzen Sprung beeinflussen.
AVIA: Zynisch gesagt könnte man meinen, die zweite Garnitur will gar keine Chance im Weltcup erhalten…
Gerd Siegmund: Mit Blick auf die Ergebnisse im Continentalcup in Innsbruck drängt sich kein Springer auf. Andreas Wellinger verpasste dort zweimal das Finale. Philipp Raimund war jeweils der Beste als 5. und auf Rang 14. Ich bin mir sicher, dass Bundestrainer Stefan Horngacher intensiv mit dem verantwortlichen B-Kader-Coach Christian Winkler grübelt, warum die genannten Springer oder ein Richard Freitag und ein David Siegel nicht zu ihrer Form finden.
AVIA: Die Zeit für eine WM-Qualifikation wird immer enger. Hast Du noch Hoffnung, was Richard Freitag betrifft?
Gerd Siegmund: Ja, die habe ich. Er hat am Dienstag und Mittwoch bei den zwei FIS-Cups in Szczyrk die Plätze eins und fünf belegt. Klar ist das nur die 3. Liga, aber immerhin ein Lichtblick. Vielleicht legt das den Schalter im Kopf noch um.
AVIA: Ist Dir in Zakopane sonst noch etwas aufgefallen, außer den leeren Rängen in diesem sonst so fantastischen Skisprung-Hexenkessel?
Gerd Siegmund: Als ganz neutraler Zuschauer empfinde ich die Saison sportlich gesehen so spannend wie ich mich kaum zurückerinnern kann. Es gibt schnell Veränderungen in den Einzelplatzierungen, es geschehen immer wieder Überraschungen, so wie jetzt wieder mit dem Sieg der Österreicher im Team. Es geht brutal eng zu. Ein kleinster Fehler kann Top-Athleten sogar das Finale kosten. Zum Beispiel Anze Lanisek, der Zweitplatzierte in Zakopane, ist in Bischofshofen in der Quali gescheitert. Ich finde, das Niveau ist in diesem Winter extrem hoch.
AVIA: Zeigt sich dies auch an einem Halvor Egner Granerud, der mit fünf Siegen am Stück zur Tournee kam und nun in Zakopane 23. wurde?
Gerd Siegmund: Ja, auch bei Kamil Stoch hat man ja auch gesehen, dass seine Klasse auf seiner Heimschanze nicht mehr so zum Tragen kam wie bei der Tournee. Es ist natürlich viel auf Kamil eingestürmt seitdem. Die Tournee war mit gleich anschließend Titisee-Neustadt diesmal fast ein Fünf-Schanzen-Event. Und was Granerud angeht: Die Anlaufgeschwindigkeit ist aufgrund des hohen Niveaus am Limit. Wenn du dann 1,5 km/h hinterherfährst, hast du im Prinzip keine Chance. Das ist dann fast wie Standweitsprung.
AVIA: Danke fürs Gespräch.