Das Pokerspiel bei der WM von Planica

AVIA-Skisprungexperte Gerd Siegmund spricht im Interview mit uns über einen Überraschungs-Weltmeister in Planica, über ein deutsch-norwegisches Duell zweier Österreicher und ein slowenisches Wechselbad der Gefühle.


AVIA: Glückwunsch Gerd, zwei von drei Medaillenkandidaten richtig genannt in der Vorschau. Nur den neuen Weltmeister hattest wahrscheinlich nicht nur Du auf der Rechnung vergessen…

Gerd Siegmund: Umso schöner ist es, dass wir mit Karl Geiger den nächsten deutschen Skiflug-Weltmeister nach Severin Freund 2014 stellen. Für mich ist er schon eine Überraschung. Ich lag zwar mit Halvor Egner Granerud und Markus Eisenbichler richtig, den Karl hatte ich aber – ehrlich gesagt - nicht auf dem Zettel. Das hat etwas mit seinem Sprungstil zu tun, mit seinem kräftigen Absprung und seiner Technik, nicht gleich nach dem Schanzentisch diese extreme Vorlage einzunehmen. Darauf kommt es eigentlich beim Fliegen an.

AVIA: Diesmal nicht so?

Gerd Siegmund: Ja, auch da geht die Entwicklung wohl weiter. Vielleicht haben Karl mit seinem Sprungstil auch ein klein wenig die Bedingungen, dass nicht dieser Aufwind wie normalerweise im März herrschte, in die Karten gespielt. Aber ich muss sagen, Karl Geiger ist ein absolut verdienter Champion. Er hat vier gleichmäßig tolle Flüge gezeigt - das war Sport vom Allerfeinsten.

AVIA: Weil Du einmal im Schwärmen bist: Was sagst Du zu dieser WM im Skifliegen ohne Zuschauer?

Gerd Siegmund: Also da kann man nur den Hut ziehen. Die Slowenen haben es trotz der Pandemie und den Umständen geschafft, ein TV-Event zu kreieren, das sicher vielen Zuschauern daheim Spaß und Spannung beschert hat. Das war Werbung für unseren Sport. Die Videoleinwände mit den Fahnen schwenkenden Zuschauern im Auslauf, die Feuerbälle dazu, die Videoeinblendungen der Fans am Fernseher – all das sind grandiose Ideen gewesen, die sicher nicht billig waren, aber super gewirkt haben. Man hat gespürt, Skispringen ist eine große Nummer in Slowenien, eine WM ein nationales Ereignis, hinter dem auch die Regierung steht.

AVIA: Das wird sich hoffentlich nach dem Auftritt der Fliegernation bei dieser Heim-WM nicht ändern. Was hast Du davon mitbekommen?

Gerd Siegmund: Da verfolge ich auch nur die Medien, habe keine Informationen aus erster Hand. Auf jeden Fall haben sich die Probleme vorher angedeutet, während der WM sind sie dann eskaliert. Nun steht das Team leider vor einem Scherbenhaufen. Natürlich geht es nicht, dass ein Athlet den Rücktritt des Nationaltrainers fordert. Es bleibt nur zu hoffen, dass Verband, Springer und Trainer alle an einen Tisch kommen und mit Blick auf die WM in Oberstdorf die richtigen Konsequenzen ziehen.

AVIA: Da loben wir in Deutschland unsere Austria-Exporte auf dem Trainerstuhl. Was sagst Du denn zum Luken-Poker-Duell zwischen Stefan Horngacher und Alexander Stöckl?

Gerd Siegmund: Na da würde ich in der Fußballsprache sagen: Alex Stöckl hat den 0:1-Rückstand vom Samstag am Sonntag dann zum 1:1 ausgeglichen. Im Team ist der Trainer der Norweger volles Risiko gegangen. Alex wusste, dass er etwas machen musste wegen des Rückstandes und hat den Anlauf um zwei Luken verkürzt. Das kann auch nach hinten losgehen, wenn Granerud die 228-m-Marke nicht erreicht und wegen der 95-%-Regel keine Bonuspunkte erhält. Aber das war schon klasse, dass er in diesem Moment so einen Topsprung abgerufen hat.

AVIA: Und Karl Geiger danach nicht?

Gerd Siegmund: Vielleicht nicht den ganz weltmeisterlichen. Aber da will ich jetzt nicht das Haar in der Suppe suchen. Das war aus deutscher Sicht eine Top-WM mit drei Medaillen – sehr eindrucksvoll also.

AVIA: Noch ein Wort – sozusagen in eigener Sache – zu Martin Hamann. Wie siehst Du die Entscheidung, dass er zuschauen musste?

Gerd Siegmund: Ganz bitter, wenn man überlegt: Martin hat in den entscheidenden Trainingsflügen von allen Startern die siebent- und achtbeste Weite erzielt und erhielt dennoch keinen Startplatz. Es ist nicht so einfach, bei einer internen Ausscheidung auf einer Flugschanze sofort da zu sein. Da gibt es kein Herantasten. Letztlich hat sich der Bundestrainer für Constantin Schmid, der im Training gleichstark war, entschieden. Sicher auch, weil er schon einige Teamspringen für Deutschland bestritten hat, die Situation für ihn nicht neu war. Aber daran wird Martin nicht zerbrechen. Im Gegenteil, es sollte ihn anspornen, sich schon in Engelberg wieder zu zeigen.

AVIA: Apropos. Wird beim Weltcup auch sein Vereinsgefährte Richard Freitag wieder dabeisein?

Gerd Siegmund: Nein. Das letzte freie Ticket für Engelberg hat David Siegel bekommen. Richard springt beim Continentalcup in Ruka und wird dann bei der Vierschanzentournee in die 1. Liga zurückkehren.

AVIA: Danke dir für die Einschätzung und das Gespräch.

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News: Wintersport
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