AVIA: Mit Deiner Windprognose lagst Du für Wisla ziemlich gut im Rennen…
Gerd Siegmund: Ja, das war wahrscheinlich das einzige, was so zugetroffen hat... Aber Spaß beiseite. Ich denke, dass sich auch in den nächsten Weltcups bestätigen wird, dass es in diesem Winter keinen Überflieger geben wird. Aber es ist noch sehr früh. Zum Auftakt waren viele Athleten noch nervös. Hinzu kam der Wind.
AVIA: Rückschlüsse lassen sich aufgrund der Verhältnisse also nicht ziehen?
Gerd Siegmund: Nur bedingt. Es sind nicht nur kleine Windbewegungen gewesen. Da waren dreieinhalb Meter pro Sekunde Aufwind und 40 Sekunden später zweieinhalb von hinten. In so einer Phase ist dann auch Markus Eisenbichler heruntergelassen worden.
AVIA: Ein Wort zu den Deutschen?
Gerd Siegmund: Karl Geiger ist momentan unser stabilster Springer. Sein Sieg in der Qualifikation und die Führung nach dem ersten Durchgang sind kein Zufall. Markus Eisenbichler und Richard Freitag sind klar unter Wert geschlagen worden. Ich bin gespannt, was nun in Ruka passiert. Die Anlage dort ist fast eine kleine Flugschanze und vom Profil her entsprechend anders.
AVIA: Hattest Du Daniel-André Tande in Wisla überhaupt auf dem Zettel?
Gerd Siegmund: Nicht unbedingt. Die TV-Kollegen aus Norwegen sahen auch eher in Robert Johansson als den stabilsten Springer in der Vorbereitung. Tande zeigte in Wisla schon im Training vereinzelt, dass er es wieder richtig gut kann. Er hatte aber auch schlechtere Sprünge dabei.
AVIA: Bei seiner Vorgeschichte ist sein Sieg umso erstaunlicher, oder?
Gerd Siegmund: Er musste in jüngster Vergangenheit einiges durchmachen. Im Frühjahr, so hat er es dem norwegischen Fernsehen erzählt, war er am Stevens-Johnson-Syndrom erkrankt. Er musste ins Krankenhaus, hatte Gewicht verloren und Trainingsausfall. Im Sommer kam ein Sturz in Courchevel mit Knieproblemen hinzu. Umso schöner, wenn er nun wieder fit ist.
AVIA: Hast Du noch etwas auffällig Spannendes zum Saisonauftakt entdecken können?
Gerd Siegmund: Na überraschend kam der Sieg der Österreicher schon etwas. Im Team waren die Verhältnisse ja noch relativ fair. Das muss man aber abwarten. Klar erscheint mir: Wenn es jemals einen polnischen Wunderschuh gegeben hat, dann ist dieser gleich mal entzaubert worden. Ich denke, das war eher ein Psychospielchen. Es gibt weder einen Schuh, noch Ski, Anzug oder eine Bindung, mit denen man einfach mal so acht Meter weiterspringt.
AVIA: Das wäre ja noch schöner, dann könntest Du ja auch wieder mitspringen…
Gerd Siegmund: Um Gottes willen. Es gab schon in Wisla zu viele Stürze.
AVIA: Aber im Ernst, die Stürze sind leidiges Thema in Wisla.
Gerd Siegmund: Stimmt. Und im Nachgang wurde auch diskutiert, dass die Organisatoren zwei Tage früher mit der Präparation des Auslaufes hätten beginnen müssen. Aber bei der – in Anführung Wärme – ist das gar nicht so einfach. Kurios war trotzdem, dass ausgerechnet die Norweger, die bis dato die meisten Schneesprüngen absolviert hatten, gefühlt am häufigsten gestürzt sind.
AVIA: Am schlimmsten hat es wohl Piotr Zyla und Decker Dean in der Quali erwischt. Weißt Du, ob beide in Ruka wieder springen?
Gerd Siegmund: Der junge Amerikaner springt mit Sicherheit nicht. Bei Piotr Zyla weiß ich es nicht genau. Ich habe aber gelesen, dass er neben den Schnittwunden im Gesicht keine ernsthaften Verletzungen davongetragen hat.
AVIA: Wen siehst Du in Ruka ganz vorn?
Gerd Siegmund: Als erstes hoffe ich für alle Athleten, dass der Wind nicht erneut das Thema des Wochenendes wird. Ich könnte jetzt sicher 10 bis 15 Springer aufzählen die für das Podest infrage kommen. Ich möchte gerne die Diskussion der Skisprungfans anregen und lege ich mich mal bei zwei Einzelspringen auf Ryoyu Kobayashi, Stefan Kraft, Kamil Stoch, Robert Johansson und Markus Eisenbichler fest. Wobei ich einen Peter Prevc in Wisla auch stark verbessert gesehen habe. Den würde ich mal als Außenseitertipp mit auf den Zettel schreiben.
AVIA: Danke für deine Einschätzung, wir sind gespannt!