AVIA: Hallo Gerd, Zakopane war die Vierschanzentournee 2.0 – findet das deine Zustimmung?
Gerd Siegmund: Was die anhaltende Dominanz der Österreicher betrifft, ja. Aber sie waren schon vor der Tournee ganz stark, das stand durch die Siege von Pius Paschke nur noch nicht so im Fokus. Was sich in Polen noch gezeigt hat: Die Slowenen haben einen deutlichen Schritt nach vorn gemacht. Es ist schön zu sehen, wie ein Anze Lanisek immer mehr seinen Stil an die Materialveränderungen anpasst. Sein 145,0-Meter-Satz im ersten Durchgang war ein echter Sahneflug.
AVIA: Der angesprochene Pius Paschke ist vom Primus vor der Tournee ins Mittelmaß abgerutscht, kam im Einzel nicht in den zweiten Durchgang. Wie kann das passieren?
Gerd Siegmund: Das ist ganz schwer zu beantworten. Es haben sich schleichend technische Fehler in seinen Sprungablauf eingeschlichen die er zur Zeit nicht abstellen kann. Offenkundig wissen die Trainer und er selbst woran es liegt, aber er kann es eben nicht abstellen. Das Team war nach der Tournee noch einmal trainieren und man wähnte einen Schlüssel gefunden zu haben um den Abstand gerade zu den Österreichern zu verkürzen. Leider sah die Realität in Zakopane anders aus und ich habe einige ratlose Gesichter gesehen.
AVIA: Also ist Bundestrainer Stefan Horngacher nun besonders als Psychologe gefragt?
Gerd Siegmund: Diese Fähigkeiten gehören ja zu einem Anforderungsprofil eines Trainers ohnehin dazu. Ich würde mir nicht anmaßen, Sachen zu beurteilen. Da bin ich zu weit weg vom internen Teamleben und einige Athleten arbeiten ja sowieso mit Mentaltrainern oder Psychologen zusammen. Aber für mich stellen sich auch weitere Fragen: Es ist mir ein Rätsel, warum bei den Österreichern Springer aus dem Continentalcup nach oben kommen und im Weltcup um oder in die Top-10-Plätze springen, was uns nicht gelingt.
AVIA: Siehe Felix Hoffmann?
Gerd Siegmund: Ja, zum Beispiel. Er wird beim COC in Engelberg vor dem Jahreswechsel Erster und Dritter, kann dann bei der Tournee in Garmisch als 25. noch einigermaßen mithalten. Danach kommen Ergebnisse jenseits der 30 zustande. Da stimmt was nicht. So fehlt auch der Konkurrenzdruck aus der zweiten Reihe. Diese und andere Fragen müssen und werden sich die Trainer stellen.
AVIA: Welche noch?
Gerd Siegmund: Mir ist auch ein Rätsel, warum Andreas Wellinger zwar gut, aber nicht sehr gut unterwegs ist. Meiner Kenntnis nach ist er im letzten Trainingslehrgang vor dem Weltcupwinter in Klingenthal aus Gate 5 oder 6 gesprungen, von dort sind noch nicht so viele losgefahren und schon gar nicht regelmäßig bei 145 Metern oder mehr gelandet. Und ein Andi Wellinger ist Olympiasieger und Tourneegesamtzweiter, hat also riesige Erfahrungen in den letzten Jahren gesammelt. Das kann doch nicht nur mentale Ursachen haben...
AVIA: Aber immerhin haben wir starke Skispringerinnen. In Sapporo glänzte besonders Selina Freitag als Zweite und Fünfte. Hattest du auch ein Auge auf sie?
Gerd Siegmund: Ja klar. Selina Freitag ist nah dran an ihrem ersten Weltcupsieg, wenn sie es nicht mit Gewalt angeht. Ich bin gespannt auf Zao. Die Schanze ist zwar eher klein, aber dort stand sie auch schon auf dem Podest. Mit Katharina Schmid und bei Topsprüngen auch Agnes Reisch sind drei Frauen immer fürs Podest gut.
AVIA: Vielen Dank fürs Gespräch.