AVIA: Hallo Gerd, du hast das dramatische Finale furioso in Bischofshofen live erlebt. Hast du auch mit Stefan Kraft gelitten?
Gerd Siegmund: Ja, und da bin ich sicher nicht allein gewesen. Klar, Daniel Tschofenig ist ein absolut würdiger Tourneesieger, aber das wären alle drei Österreicher gewesen. Stefan Kraft konnte einem wirklich leidtun. Bei dieser langen Wartezeit oben ist es brutal schwierig, die Spannung zu wahren und im eigenen Ablauf zu bleiben. Am Ende geht es ja am Schanzentisch um Präzision auf die Hundertstelsekunde.
AVIA: War es aus deiner Sicht berechtigt, so lange zu warten, anstatt Kraft grünes Licht zu geben?
Gerd Siegmund: Da hat sich die Jury selbst ein wenig in die Bredouille gebracht, als sie nach dem ersten Durchgang den Anlauf um eine Stufe von Gate 13 auf 14 verlängert hat. Dass die Richtung des Windes schnell wechseln kann, hatte sich im ersten Sprung gezeigt. Insofern war das eine unglückliche Entscheidung. Die Frage, ob es ohne Pause für Stefan Kraft gereicht hätte, wird aber nie beantwortet werden.
AVIA: Weniger Anlauf wäre im Dreikampf auch für Jan Hörl besser gewesen, oder?
Gerd Siegmund: Ja! Er kam schon von weit oben zur Landung, hat den Sprung aufgrund der hohen Weite nicht durchgezogen und so den Telemark verpatzt. Normalerweise kann er das. Mit der strengeren Bestrafung seit diesem Winter hat er so die Tournee verloren.
AVIA: Was ist dir außerhalb der österreichischen Tournee-Festspiele noch aufgefallen?
Gerd Siegmund: Da würde ich mal spontan Gregor Deschwanden gratulieren. Er ist eine tolle Tournee gesprungen und war ja der einzige Springer, der in Garmisch-Partenkirchen ein komplettes Austria-Podest auf allen vier Tournee-Stationen verhindert hat. Auch Johann André Forfang ist absolut stabil gesprungen.
AVIA: Ein Wort zu den deutschen Skispringern: Warum hat es im Vergleich zu den Vorleistungen einen Einbruch gegeben?
Gerd Siegmund: Es ist nicht so, dass die Österreicher über Nacht zur Tournee stark geworden sind. Klar hat Pius Paschke mit seinen fünf Siegen zuvor Hoffnungen geschürt. Aber dahinter waren die Österreicher schon immer auch mannschaftlich stark präsent. Wenn du aus deutscher Sicht in Gelb anreist und am Ende kein Podest hast und in der Gesamtwertung Sechster wirst, muss man sicher nicht um die Enttäuschung herumreden.
AVIA: Was kann, was muss man künftig vielleicht man besser machen?
Gerd Siegmund: Ich bin kein Besserwisser. Sicher darf man jetzt aber nicht Vogel Strauß spielen und alles infrage stellen und umkrempeln. Aber klar müssen sich die Verantwortlichen Gedanken machen, ob die Herangehensweise über die Jahre hinweg, sich vom ganzen Trubel abzuschotten, aufgeht. Die Österreicher spielen das hervorragend aus – die nehmen die Tournee an, sie stellen sich, zeigen sich. In Deutschland nehmen wir es vielleicht auch an, wir zeigen uns aber nicht. Dass sie es können, haben Andi Wellinger, Karl Geiger und Pius Paschke mit Podestplätzen vor der Tournee bewiesen. Bei Philipp Raimund sehe ich eine aufsteigende Tendenz.
AVIA: Wie bist du früher mit dem Trubel einer Tournee umgegangen?
Gerd Siegmund: Das ist natürlich ein Unterschied, denn ich bin nie in Gelb zur Tournee angereist. Aber ich lag auch mit Jens Weißflog während der Tournee auf dem Zimmer. Wir haben uns eigentlich immer gefreut, vor so vielen Leuten bei der Tournee zu springen und versucht, das Feeling aufzusaugen. Denn danach kommen auch wieder Springen wie zum Beispiel in Predazzo vor 500 Leuten.
AVIA: Damit gibst du das richtige Stichwort, denn ungewöhnlicherweise pausieren die Skispringer nun ein Wochenende. Warum?
Gerd Siegmund: Weil die Olympiaschanze in Predazzo noch im Bau und nicht fertiggeworden ist. Das ist ein Jahr vor den Winterspielen keine gute Werbung. Manchem Springer wird die Pause aber guttun. Die Tourneebesten würden dagegen sicher gleich weiterfliegen. Zumindest geht es im Continentalcup, also der 2. Liga, wieder los. In Klingenthal wird es ein gutes Starterfeld, u. a. mit den deutschen Hoffnungen Markus Eisenbichler, Constantin Schmid oder Martin Hamann geben.
AVIA: Danke fürs Gespräch.