AVIA-Skisprungexperte Gerd Siegmund erklärt das Phänomen Pius Paschke

Drei Starts, drei Siege. Der Heimweltcup in Titisee-Neustadt hätte für den Skispringer der Stunde nicht besser laufen können. Pius Paschke erobert mit 34 Jahren die Herzen der Fans. Nach dem Erfolg im Superteamwettkampf mit Andreas Wellinger verwies der Bayer am Samstag zunächst Gregor Deschwanden und Daniel Tschofenig auf die Podestplätze. Am Sonntag belegten Michael Hayböck und Kristoffer Eriksen Sundal die Ränge zwei und drei. AVIA sprach mit Experte Gerd Siegmund über das Wochenende im Schwarzwald.


AVIA: Hallo Gerd, zunächst mal wolltest Du uns aufklären, ob der Bundestrainer in seinem Wohnort Heimschläfer ist oder nicht …

Gerd Siegmund: War er nicht. Stefan Horngacher hat mit der Mannschaft im Hotel gewohnt und dies mit den vielen Aufgaben, die während eines Heimweltcups drumherum noch anstehen, begründet.

AVIA: Und bei diesen Ergebnissen kann man ja auch mal abends im Team anstoßen, oder?

Gerd Siegmund: Ja, klar. Einfach grandios dieses Wochenende, von der Organisation angefangen, über das Wetter bis hin zur grandiosen Stimmung – alles hat gepasst. Und Pius Paschke setzt dem Ganzen die Krone auf. Er ist einfach in der Form seines Lebens. Ich denke, das sagt alles, wenn 7000 Menschen im Schanzenauslauf singen: „Oh, wie ist das schön…“

AVIA: Wie macht er das? Kannst Du uns das Phänomen Pius Paschke erklären?

Gerd Siegmund: Also wenn ich mit seinen Worten spreche, dann zahlt sich die kontinuierliche Arbeit der letzten Jahre aus. Er hat bereits im Vorwinter begonnen, in der Anfahrtsposition nicht mehr so extrem tief zu sitzen, um auch stabiler an den Schanzentisch heranzufahren. Daran hat er in diesem Sommer weitergearbeitet. Wie auch daran, dass sich sein rechter Ski nach dem Absprung besser anstellt. Ich denke, da kommt vieles zusammen, dass der berühmte Knopf bei ihm aufgegangen ist.

AVIA: Du kennst Pius schon sehr lange. Wie wird er mit diesem riesigen Erfolg umgehen, wenn sich die deutschen Medien mit Blick auf den ersehnten ersten Tourneesieg 23 Jahre nach Sven Hannawald in den nächsten Wochen überschlagen werden?

Gerd Siegmund: Ja, ich kenne Pius sehr lange, auch schon zu den Zeiten, als noch keiner ein Stück Brot von ihm genommen hat. Natürlich ist eine Tournee nochmal etwas anderes, wenn du auf dem Balken oben sitzt und unten schwingen 20.000 Menschen mit den Fähnchen. Das ist eine zusätzliche Herausforderung. Aber im Grunde kann dir doch nichts Besseres passieren, als in Topform zur Tournee zu kommen. Ich weiß, dass Pius auch mit einem Sportpsychologen zusammenarbeitet. Ich sehe derzeit keine Gefahr, dass er dem medialen Druck nicht standhält.

AVIA: Bis es so weit ist, steht noch der Weltcup in Engelberg an. Was erwartest du bei der Tournee-Generalprobe?

Gerd Siegmund: Pius hat auf dem Bakken im letzten Winter seinen ersten Weltcupsieg gefeiert. Ich gehe davon aus, dass er dort aufgrund der Schanzencharakteristik sogar noch eine Spur stärker ist. Denn normalerweise gibt es in Engelberg Rückenwind, und damit kommt er sehr gut zurecht. Aber klar ist auch: Die anderen kommen näher. Norwegen hat in Titisee das erste Podest realisiert. Die jungen Polen setzen ein Zeichen. Und die Österreicher sind ohnehin weiter immens stark.

AVIA: Die Konkurrenz wird sicher genau analysieren, was den deutschen Routinier so beflügelt…

Gerd Siegmund: Mit Sicherheit. Und die ersten Sticheleien gehen auch schon los, wie so oft vor der Tournee. Da fragen die Skandinavier, ob die Deutschen und Österreicher vielleicht etwas im Schuh haben, dass der Ski sich so gleichmäßig gut anstellt. Aber das gehört zum Spiel dazu.

AVIA: Noch kurz zu einer traurigen Geschichte. Unmittelbar vor dem Weltcup in Titisee-Neustadt war Trainer Wolfgang Steiert, der ja ganz aus der Nähe stammt, mit 61 Jahren gestorben. Wie hast du die Nachricht aufgenommen?

Gerd Siegmund: Wirklich überraschend kam es für mich nicht, da es in der Szene bekannt gewesen ist, dass Wolfgang schwer erkrankt war. Ich hatte einige Jahre in meiner aktiven Laufbahn mit ihm - Anfang der 90er-Jahre noch im B-Kader, danach im Nationalteam - zu tun. Unterm Strich hat er für den Sport gelebt und gebrannt. Und er hat als Heimtrainer u. a. Sven Hannawald, Martin Schmitt zu Höchstleistungen getrieben und mit ihnen grandiose Erfolge gefeiert. Das bleibt sein Vermächtnis.

AVIA: Danke fürs Gespräch. 

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