Die großen Kristallkugeln sind an Stefan Kraft und Nika Prevc verteilt. Österreich dominiert weiter bei den Herren. Silje Opseth liefert in Vikersund einen Weltrekord mit Spektakel. AVIA-Skisprungexperte Gerd Siegmund war am Monsterbakken in Norwegen vor Ort. Im Interview spricht er über ruhmreiche Rekorde, mutige Mädels, deutsche Durststrecken und Krafts Krönung.
AVIA: Gerd, wie war’s am Monsterbakken in Vikersund. Offenbar sehr unterschiedlich, wie im Fernsehen zu sehen war. Was hast du erlebt?
Gerd Siegmund: Ja, am Samstag hat es gestürmt und geschneit, da war zunächst nicht an Fliegen zu denken. Erst am Abend trat eine Beruhigung ein. Sonntag dann das Traumwetter und Ehrungen ohne Ende – mit Stefan Kraft natürlich an erster Stelle.
AVIA: Sag uns ein paar Worte zum Österreicher. Was zeichnet ihn aus?
Gerd Siegmund: Seine Konstanz ist einfach beeindruckend. Deshalb ist sein dritter Gesamtweltcupsieg absolut verdient. Nur der Titel bei der Vierschanzentournee könnte ihm am Ende fehlen, wenn er nach dem WM-Gold im Skifliegen, Platz 1 der Raw-Air-Tournee und dem Gesamtweltcup jetzt auch noch bei den zwei abschließenden Einzeln in Planica die kleine Kristallkugel fürs Skifliegen holt. In dieser Wertung hat er 91 Zähler Vorsprung auf Daniel Huber. Das sieht also gut aus.
AVIA: Und den Rekord von Peter Prevc mit 15 Siegen in einer Saison kann er zumindest noch einstellen.
Gerd Siegmund: Ja, aber das interessiert ihn gar nicht, wie er mir selbst verraten hat. Und auch ohne diesen ruhmreichen Rekord kann man ihm nur gratulieren und den Hut ziehen. Seine Stärke, sein großartiges Fluggefühl kam in Vikersund wieder zum Tragen.
AVIA: Und Österreich dominiert weiter. Was sagst Du dazu?
Gerd Siegmund: Ja, unglaublich. Sie sind natürlich nach dem Vierfacherfolg in Trondheim mit breiter Brust angereist. Auch Daniel Huber hätte durchaus die Raw-Air-Tournee gewinnen können. Er hat aber in Oslo einmal das Finale verpasst. Auch Ryoyu Kobayashi wurde einmal durchgeschüttelt. Was Huber gerade beim Fliegen gezeigt hat, ist einfach Weltklasse.
AVIA: Wie schätzt Du die Deutschen ein?
Gerd Siegmund: Nicht nur sie hatten Probleme mit der Anlage. Durch die flache Flugbahn streut die Schanze enorm. Nach dem Absprung hast du nicht gleich das große Druckgefühl wie in Oberstdorf oder Planica. Da darfst du dir auch keinen kleinen Fehler erlauben. Das haben u. a. Karl Geiger, Kamil Stoch oder Marius Lindvik leidvoll erfahren müssen.
AVIA: Geht den deutschen Adlern am Saisonende die Luft aus?
Gerd Siegmund: Bei einigen merkt man es, dass die Saison lang war, ihnen die Physis und vielleicht auch die geistige Frische abgehen. Aus deutscher Sicht zeigt sich, wenn Andreas Wellinger die Ergebnisse ganz vorn nicht absichert, kommt danach im Gegensatz zu Beginn der Saison nicht mehr viel nach. Geiger, Pius Paschke, Stephan Leyhe haben ihre Form verloren. Was Flugnovize Philipp Raimund in Vikersund gezeigt hat, war dagegen okay.
AVIA: Wie bewertest Du, dass Markus Eisenbichler nicht in Planica fliegt?
Gerd Siegmund: Er hat selbst per Pressemitteilung abgesagt, was ich schade finde. Man sieht aber in der Entscheidung, dass Fliegen kein Kindergeburtstag ist. Sonntag, wenn nur die 30 besten im Weltcup ran dürfen, wäre er ohnehin nicht startberechtigt gewesen.
AVIA: Wie hast Du Neuerungen in der Raw-Air-Tournee wahrgenommen?
Gerd Siegmund: Ehrlich gesagt, halte ich nicht viel davon. Dass die Nationen nach Oslo nicht mehr tauschen können, finde ich nicht gut, gerade, wenn ein Sportler mal krank wird. Auch der Test mit den drei Durchgängen in einem Wettkampf ist aus meiner Sicht nicht tragbar. Die Pause dauert dann länger als der Durchgang an sich.
AVIA: Was sagst du zur Damenkonkurrenz?
Gerd Siegmund: Überragend wie Silje Opseth nach dieser Schrecksekunde mit Sturz in der Probe dann auf 230,5 Meter und zum Weltrekord geflogen ist. Das kann man gar nicht hoch genug bewerten. Ich ziehe vor allen Mädels den Hut, die sich dort getraut und diesen Monsterbakken gemeistert haben. Insgesamt darf man nicht unterschätzen, dass die Damen viel weniger Flugerfahrungen als die Herren besitzen.
AVIA: Dafür dürfen sie nun auf der Normalschanze in Planica ihren Saisonabschluss feiern…
Gerd Siegmund: Das hatte ich bereits gesagt, dass ich davon nichts halte. Wie ich weiß, werden Opseth und Eirin Maria Kvandal auch gar nicht starten, weil sie bereits Urlaub gebucht hatten.
AVIA: Danke fürs Gespräch.