AVIA: Hallo Gerd, Du warst in Bad Mitterndorf vor Ort, hast die Siege von Halvor Egner Granerud live beobachtet. Erwartungsgemäß für Dich?
Gerd Siegmund: Von der Papierform ja. Bevor Dawid Kubacki seinen Sprungstil mit dem Hüftknick im Flug angepasst hatte, galt der Pole aufgrund seines intensiven Absprungs als besonders guter Springer auf der Normalschanze. Die Norweger an sich sind von Haus aus ausgezeichnete Flieger. Granerud hatte zudem noch ein paar Psychotricks ausgepackt und zuvor angekündigt, dass er das Gelbe Trikot angreifen will. Das hat er letztlich umgesetzt und sich im Gesamtweltcup Position eins erobert.
AVIA: Haben die Polen unabhängig von Kubacki ein kleines Problem derzeit?
Gerd Siegmund: Das neue, junge Trainerteam mit Chef Thomas Thurnbichler und seinem Assistenten Marc Nölke ist jetzt extrem gefragt, die Ruhe zu bewahren. In Polen hat gefühlt jeder Halbexperte etwas zu sagen, jeder gibt seinen Senf dazu. Davon darf sich die Mannschaft nicht beeindrucken lassen. Aber klar ist: Wenn Du das Gelbe Trikot verlierst, die Ergebnisse nicht kommen, dann fängt man auch automatisch an zu grübeln und will es vielleicht mit der Brechstange probieren. Das geht im Skispringen schief.
AVIA: Fliegt das System von Sapporo-Comebacker Ryoyu Kobayashi doch nicht so gut, wie es nach seinen zwei Siegen in der Heimat zu erwarten war?
Gerd Siegmund: So eindrucksvoll wie in Japan war er als 14. und 13. diesmal nicht. Dennoch sage ich, in Richtung WM bleibt er der Einzige aus der Nation, der in Planica etwas holen kann. Ganz kleine Fehler wirken sich auf der Flugschanze auch mehr aus als auf einer kleinen Anlage. Beim Fliegen muss alles auf den Punkt passen. Und man muss auch sagen: Gerade am Sonntag war das ein Wettkampf auf sehr, sehr hohem Niveau.
AVIA: Was sagst Du zum Auftritt der deutschen Ski-Adler?
Gerd Siegmund: Andreas Wellinger ist absolut konkurrenzfähig, auch wenn es knapp noch nicht fürs Podest gereicht hat. Das Wochenende sollte ihm nochmal einen Schub in Richtung WM geben. Bei den anderen gibt es sicher Reserven, wobei es auch zum Teil schwierig war, die Anlauflänge immer gut zu kalkulieren. Bei wenig Anlauf und noch dazu Rückenwind ist es dann extrem schwierig, überhaupt ins Fliegen zu kommen.
AVIA: Hast Du etwas gehört, ob Karl Geiger gut trainieren konnte?
Gerd Siegmund: Ich habe mit dem Bundestrainer telefoniert. Karl hat gute Ansätze auf der kleinen Schanze gezeigt. Aber es wird nicht so sein, dass er kommendes Wochenende in Willingen zurückkehrt und gleich wieder gewinnen wird.
AVIA: Was erwartest Du vom Weltcup im Skisprungmekka des Sauerlandes?
Gerd Siegmund: Nach zwei Jahren ohne Zuschauer sollte es eine große Skisprungparty geben. Da bin ich mir sicher. Natürlich freue ich mich besonders auch auf den Mixedwettbewerb. Da erwarte ich einen sehr spannenden Wettkampf. Für die Frauen bietet Willingen eine gute Möglichkeit, sich auf der größten Großschanze der Welt aufs Skifliegen vorzubereiten. Das steht ja dann erstmals im März in Vikersund auf dem Programm.
AVIA: Danke fürs Gespräch.