Eindrucksvoll auch ohne Grand Slam

Die 70. Vierschanzentournee, die auf drei Schanzen durchgeführt wurde, hat mit Ryoyu Kobayashi ihren Königsadler gefunden. Unser Skisprungexperte Gerd Siegmund spricht im Interview über das Abschneiden der Deutschen, die Chancen einer Damentournee sowie einen Farbtupfer dieser Jubiläumstournee. Und über ein Licht, das dem Veranstalter in Innsbruck bald aufgehen sollte.


AVIA: Hallo Gerd, über die Flugkünste von Ryoyu Kobayashi wurde in den Tourneetagen viel gesprochen. Hast Du dem noch etwas hinzuzufügen?

Gerd Siegmund: Einer der beiden Top-Favoriten hat gewonnen - und dies ziemlich eindrucksvoll auch ohne Vierfachsieg. Er hat ein Sprungsystem, das am wenigsten anfällig ist. Er war einfach konstanter als Karl Geiger. Ich denke, auch wenn es bei Karl in Garmisch nicht schief gegangen wäre, hätte er die Tournee trotzdem nicht gewonnen. Der Gesamterfolg wird Kobayashi wichtiger gewesen sein als der vierte Sieg. Im Finale ist er vielleicht etwas kontrollierter ohne das letzte Risiko gesprungen, um es nicht zu vergeigen.

AVIA: Was für ein Wortspiel … Was sagt der Poet zum großen deutschen Hoffnungsträger?

Gerd Siegmund: Klar ist er angetreten, um die Tournee zu gewinnen. Alles andere wäre töricht - als Weltcupführender sowie Dritter und Zweiter in den letzten Jahren. Ich würde nicht sagen, dass Karl versagt hat. Aber er hat eben in Garmisch zweimal gute Sprünge gemacht bei schlechten Verhältnissen, aber keine überragenden. Das war ein Unterschied zu Ryoyu Kobayashi.

AVIA: Wie siehst Du die Konstellation im deutschen Team mit Blick auf Olympia?

Gerd Siegmund: Aus meiner Sicht kann das Trio mit Karl Geiger, Markus Eisenbichler und Stephan Leyhe die Koffer für Peking packen. Sie sind auch unter den Top 10 in der Tourneewertung. Danach ist das Rennen offen, und Severin Freund sollte im Kampf um die fünf Tickets hinzugekommen sein. Als 12. hat er in Bischofshofen zumindest eine halbe Norm erfüllt, kann sich am Wochenende an derselben Stelle erneut empfehlen. Insgesamt gestaltete es sich hinter dem deutschen Top-Trio aber eher wechselhaft, wie das Wetter eben bei dieser Tournee.

AVIA: Da kann schon mal ein türkischer Skispringer vor einem Deutschen einkommen…

Gerd Siegmund: Für mich ist Fatih Ardader Ipcioglu der Farbtupfer dieser Tournee. Man sieht, auch Exoten können mit den entsprechenden Konzepten im Weltcup punkten. Er hat mit Nejc Frank einen slowenischen Coach, den früheren Assistenten des erfolgreichen Nationaltrainers Goran Janos. Ipcioglu hält sich auch meistens in Slowenien und Umgebung zum Training auf. Das Skispringzentrum in seinem Heimatland in Erzurum war nach einem Erdrutsch im Sommer 2014 zerstört. Lange ging da nichts. Inzwischen kann dort aber wieder gesprungen werden.

AVIA: Sicher übt er auch ab und zu auf der Bergiselschanze. Wie kann es sein, Gerd, dass es in einem Tourneeort kein Flutlicht gibt?

Gerd Siegmund: Es gab jahrelange Diskussionen, immer mal Anwohnerproteste und oft Bekundungen, zum Beispiel ein mobiles Flutlicht installieren zu wollen. Davon einmal abgesehen, dass an dem Tag in Innsbruck auch das Flutlicht auch nicht geholfen hätte. Ich war um 17 Uhr noch an der Schanze, da hätte man bei dem Sturm immer noch nicht springen können. Aber ich habe mich bei Tourneechef Alfons Schranz erkundigt. Er hat mir gesagt, dass die Genehmigung der Behörden vorliegt und auch das Geld für eine feste Flutlichtanlage da ist. Im besten Fall klappt es mit ihr also bereits 2023.

AVIA: In der Diskussion ist auch eine mögliche Damentournee. Wie sieht der Marketingexperte diese Angelegenheit?

Gerd Siegmund: Da gibt es immer ein Für und Wider. Auch wenn man einwenden kann, dass die Damen im Rahmen der traditionellen Vierschanzentournee nur ein „Anhängsel“ sind, so favorisiere ich diese Variante: Es hat viele Vorteile. Die Medien sind da, es ist alles aufgebaut an den vier Orten und es gibt bestimmt Sponsoren, die sich auch in diesem neuen Segment präsentieren wollen. Und die Damen wollen es ja auch, weil sie dann alle Springen auf einer Großschanze haben.

AVIA: Danke fürs Gespräch

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News: Wintersport
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