AVIA: Hallo Gerd. Neue Saison, neues Glück. Auch wenn das Pandemiethema noch präsent ist: Freust Du Dich auf den Olympiawinter?
Gerd Siegmund: Klares ja, sogar sehr. Wir werden eine Saison mit Zuschauern erleben, wir haben einen interessanten Weltcupkalender und es gibt einige Favoriten. Alles zusammen verspricht spannenden Sport. So leidig das Pandemiethema auch ist: Man hat im Vorwinter gesehen, dass es an den Schanzen gute Konzepte, die auch greifen, gibt.
AVIA: Du hast den Kalender angesprochen. Der Auftakt findet erstmals in Nischni Tagil statt. Was hat es damit auf sich?
Gerd Siegmund: In Zeiten des Klimawandels und der Diskussion um Nachhaltigkeit war es eine sehr gute Entscheidung. Denn am Ural ist es zu dieser Jahreszeit meist kälter als in Mitteleuropa, die Kunstschneeproduktion deshalb einfacher. Ich finde es zudem schöner, mit einer weißen Winterlandschaft zu starten anstatt mit einem weißen Band im Schanzenauslauf wie in der Vergangenheit in Wisla oder Klingenthal. Dort mussten die Organisatoren einen erheblichen Aufwand betreiben. Ich war selbst schon zweimal in Nischni Tagil dabei. Jedes Mal war es eine toporganisierte Veranstaltung.
AVIA: Was ist Dir noch aufgefallen, wenn Du auf den Terminkalender blickst?
Gerd Siegmund: Die Raw Air Tournee findet nur in zwei Orten, in Lillehammer und Oslo, statt. Der Grund ist, dass in Trondheim die Schanzen für die WM 2025 komplett umgebaut werden. Und dann ist es schon ziemlich happig für die Athleten, dass nach einer langen Saison und der der Skiflug-WM in Vikersund im März danach noch weitere zwei Skifliegen, in Oberstdorf und beim Finale in Planica, stattfinden. Das wird den Sportlern alles abverlangen. Sinnvoll finde ich auch das zweite Weltcupspringen in Bischofshofen nach dem Tourneefinale. Die Infrastruktur steht ja, alle sind vor Ort, da kann man also gleich noch das Wochenende für einen Wettkampf nutzen.
AVIA: Und bei den Damen gibt es einen neuen Ort im Weltcup, der Dir nicht ganz unbekannt ist …
Gerd Siegmund: Ja, nicht nur das Normalschanzenspringen in Oberhof ist bei den Damen, die eine Woche später ebenfalls in Nischni Tagil in die Saison starten, lobenswert zu erwähnen. Endlich ist es gelungen, einen sehr ansprechenden Weltcupkalender zu gestalten - ohne große Pausen. Ein echter. Schön ist auch, dass sich Damen und Herren in den deutschen Traditionsorten Klingenthal und Willingen treffen.
AVIA: Erwartest Du bei den Herren der Lüfte entsprechend der Sommer-Ergebnisse ein Duell zwischen Ryoyu Kobayashi und Halvor Egner Granerud?
Gerd Siegmund: Von der Papierform her sind sie meine Topfavoriten. Der Japaner ist schon mein heißester Kandidat auf den Gesamtweltcup. Alle Nationen haben ein bisschen unterschiedlich ihre Vorbereitungen gestaltet. Die Norweger waren bei den Grand-Prix-Wettbewerben in Schuchinsk und Tschaikowski, weil die Anlagen dort vom Profil her jenen in Peking ähneln sollen. Die Frage ist, wer hat seit dem Sommerfinale in Klingenthal noch etwas draufgepackt?
AVIA: Karl Geiger vielleicht?
Gerd Siegmund: Ja, das ist mir zumindest vom Bundestrainer zu Ohren gekommen. Die nationale Meisterschaft hat er bereits sehr souverän auf der kleinen Schanze in Oberhof gewonnen. Karl ist unser stabilster Springer. Ich traue ihm zu, dass er ganz vorn bei der Musik mitspielt.
AVIA: Was weißt Du über den Rest der deutschen Mannschaft?
Gerd Siegmund: Es war nur noch eine Position für den sechsten Weltcupstartplatz zum Auftakt vakant. Den hat sich Stephan Leyhe mit seinem Silber bei der Meisterschaft erkämpft. Mit Geiger, Eisenbichler, Schmid, Paschke und Wellinger steht das Team. Und es wird nicht einfach, sich außerhalb dieser Mannschaft ein Olympiaticket zu ergattern. Fest steht auch bereits, dass es bei der Tournee in Oberstdorf keine nationale Gruppe geben wird. Somit hat die zweite Garnitur eine Chance weniger, sich im direkten Vergleich mit den Weltcupstartern zu beweisen.
AVIA: Erwartest Du noch den Sprung des berühmten Kai aus der Kiste?
Gerd Siegmund: In den vergangenen Jahren gab es oft ein oder zwei Springer, die man vorher gar nicht auf dem Zettel hatte. Mal schauen, was noch aus Polen kommt. Es wurde in den letzten Wochen viel getestet.
AVIA: Apropos neu – gibt es Regeländerungen wie in der Vorsaison mit den Vorschriften für die Schuhkeile?
Gerd Siegmund: Bereits im Sommer wurde der bisher erlaubte Fünf-Zentimeter-Toleranzbereich zwischen Anzug und Taille auf 0 Zentimeter reduziert. Quasi muss der Anzug im Hüftbereich anliegen. Damit soll es schwerer möglich sein, den Anzug nach unten zu ziehen, um sich im Schritt eine größere Tragfläche zu schaffen. Ich hoffe, dass sich alle Nationen an die Bestimmungen halten.
AVIA: Vielen Dank für deine Einschätzung!
Weltcupkalender Skispringen Herren
- 20./21. November: Nischni Tagil; 27./28. November: Ruka;
- 4./5. Dezember: Wisla;
- 11./12. Dezember: Klingenthal; 18./19. Dezember: Engelberg;
- Vierschanzentournee: 29. Dezember: Oberstdorf; 1. Januar 2022: Garmisch-Partenkirchen; 4. Januar: Innsbruck; 6. Januar: Bischofshofen;
- 8./9. Januar: Bischofshofen;
- 15./16. Januar: Zakopane;
- 21. – 23. Januar: Sapporo; 28./29./30. Januar: Willingen;
- Olympische Spiele: 6.- 14. Februar Peking;
- 26./27. Februar: Lahti;
- Raw Air Tournee: 3. März: Lillehammer; 4./5./6. März: Oslo;
- Skiflug-WM 10. - 13. März: Vikersund;
- 19./20. März Oberstdorf (Skifliegen); 25. – 27. März: Planica (Skifliegen).