AVIA: Hallo Gerd. Ryoyu Kobayashi gewinnt mit 24 Punkten vor dem zweitplatzierten Halvor Egner Granerud. Müssen wir uns auf eine japanische Ein-Mann-Show im Winter einstellen?
Gerd Siegmund: Das hoffe und glaube ich nicht. Also der Vorsprung war schon gewaltig und das Niveau von Kobayashi extrem gut. Ich denke, er hat die Konkurrenten ins Grübeln gebracht. Sie wissen jetzt, dass sie richtig was aufholen müssen. Sie werden seine Flüge im Video studieren. Ich hoffe, dass sich zu ihm und Granerud noch der eine oder andere Springer aufschwingt und Skispringen weiter so spannend bleibt.
AVIA: Hast Du etwas sehen können, was Ryoyu Kobayashi momentan besser hinbekommt als der Rest?
Gerd Siegmund: Ich vergleiche seine Sprünge mit jenen vor zwei, drei Jahren, als er ähnlich dominant aufgetreten ist und 2018/19 alle vier Tourneespringen gewann. Er selbst sagt ja, es ist der gute Teamspirit in der japanischen Mannschaft. Aber da steckt sicher mehr dahinter. Wie Ende des letzten Winters bereits angedeutet, hat er jetzt die Umstellung auf die Reglementierung der Schuhkeile geschafft. Offen ist, ob andere Nationen athletisch noch nicht so weit sind, oder zu diesem Zeitpunkt nicht so weit sein wollen.
AVIA: Was sagst Du zum deutschen Team?
Gerd Siegmund: Constantin Schmid hat als Fünfter einen sehr guten Wettkampf abgeliefert. Auch Karl Geiger war gut, er kann aber besser. Hinter den beiden – und das muss jeden Trainer freuen – kommen sieben Athleten noch unter die besten 30. Die Breite ist also schon mal vorhanden. Mit Markus Eisenbichler wird sicher auch bald wieder zu rechnen sein, wenngleich er in Klingenthal große Probleme hatte.
AVIA: Wie kann man einem Laien erklären, dass ein Großschanzen-Weltmeister vom Bundestrainer Startverbot bekommt, weil es zu gefährlich werden könnte?
Gerd Siegmund: Das ist irgendwie auch Markus‘ Charakter geschuldet: Wenn es nicht 100-prozentig läuft, dann möchte er es mit der Brechstange versuchen. Aber Gewalt ist im Skispringen keine Lösung. Dass er nach seinem Sturz in der Probe rausgenommen wurde, war absolut die richtige Entscheidung. Es gibt im Winter noch wichtigere Wettkämpfe als das Finale im Sommer-Grand-Prix.
AVIA: Bewerben sich zehn Deutsche um sechs Startplätze zum Weltcupauftakt? Oder glaubst Du, dass Bundestrainer Stefan Horngacher sein Sextett schon im Kopf hat?
Gerd Siegmund: Das WM-Gold-Team mit Geiger, Eisenbichler, Paschke und Freund wird sicher einen Bonus haben. Dazu haben Wellinger und Schmid mit zwei fünften Plätzen im Sommer-Grand-Prix ein Top-Ergebnis stehen. Für alle anderen Springer wird es wohl schwer. Im Oktober zur Deutschen Meisterschaft in Oberhof können sich alle nochmal empfehlen, aber da wird wegen der Eisspur nur auf der kleinen Schanze gesprungen. Es wird für einige Springer nur den zweiten Weg geben, nämlich sich über den Continental-Cup für den Weltcup anzubieten, um eine Chance auf die Olympiatickets in Peking zu erhalten.
AVIA: Noch ein Wort zur Damenkonkurrenz in Klingenthal?
Gerd Siegmund: Ich denke, man muss es differenziert betrachten. Für eine 20-jährige Selina Freitag ist Platz zwölf ein tolles Ergebnis. Das Gleiche trifft auf Katharina Althaus als Fünfte zu. Doch insgesamt ist der Abstand zu den weltbesten Damen schon groß. Er ist seit der WM in Oberstdorf oder generell der letzten Saison nicht kleiner geworden. Gerade Juliane Seyfarth oder Anna Rupprecht waren schon mal näher am Niveau der besten Springerinnen dran als sie das in Klingenthal zeigen konnten. Dem neuen Bundestrainer Maxi Mechler steht also noch viel Arbeit bevor.
AVIA: Danke fürs Gespräch.