AVIA: Hallo Gerd. Die Sportwelt sucht nach Superlativen für den Geiger Karle, wie er daheim in Oberstdorf genannt wird. Hast Du noch welche?
Gerd Siegmund: Ich kann nur sagen: Phänomenal. Insgesamt war es eine überragende WM für die deutschen Skispringer. Auch wenn ich im Saisonverlauf auch mal etwas kritisch gewesen bin. Es ist alles aufgegangen. Die Leistung im Teamwettbewerb setzt dem Ganzen die Krone auf. Jeder ist an seinem Optimum gewesen. Es war ein so spannender Wettkampf, wie ich ihn selten erlebt habe. Ich hatte eine kleine Träne im Knopfloch, dass ich so ein Springen nicht im TV kommentieren durfte.
AVIA: Dafür kannst Du mal kommen-tieren, wie man zu so einem coolen Hund wie der Karl Geiger wird. Ist das am Ende so: Entweder man hat es oder man hat es nicht?
Gerd Siegmund: Er sagt ja selber, dass er sich das so ein bisschen antrainiert hat. Mit einer mentalen Vorbereitung, immer wiederkehrenden Abläufen, um die Anspannung auf dem Level zu halten, wie sie förderlich ist – also nicht zu viel und nicht zu wenig. Er kann eben im Wettkampf die fünf, sechs Prozent draufpacken. Was er in diesem Winter erreicht hat - Skiflug-Weltmeister, Tournee-Zweiter, Weltcupsieg, Mixed- und Team-Weltmeister, Silber und Bronze im Einzel - unglaublich. Wer hätte das vor drei Jahren gedacht?
AVIA: Und ein Pius Paschke darf sich Team-Weltmeister nennen…
Gerd Siegmund: Ja, und das mit 30. Ich erinnere mich noch an sein Welt-cup-Debüt. 2013 in Engelberg war er nur dabei, weil sich Richard Freitag damals verletzt hatte und die zweite Reihe schon zum Continental-Cup abgereist war. Da rief ihn der Bundestrainer an und Pius Paschke hat mit Rang 47 seinen Einstand im Feld der Weltelite gegeben.
AVIA: Ein Wort noch zu Markus Eisenbichler.
Gerd Siegmund: Er ist im Einzel volles Risiko gegangen. Wenn Du aber die Schanzentischkante nicht genau triffst, bist Du chancenlos. Erst recht, wenn die Bedingungen nicht so mitspielen. Aber seine Reaktion im Team spricht für sich und macht ihn zu einem echten Champion.
AVIA: Was sagst Du zum neuen Großschanzen-Weltmeister Stefan Kraft?
Gerd Siegmund: Das war absolut verdient, kein Glück, Schneefall oder sonst was. Er hat in jedem Trainings-sprung abgeliefert. Anzugmäßig war es eine Goldmedaille mit Pfiff. Auch wenn sich die Österreicher in der An-lauf-Geschwindigkeit nicht abgesetzt haben, könnten die Anzüge etwas mehr Speed bringen. Unabhängig da-von ist Stefan Kraft Weltmeister geworden, weil er gut gesprungen ist.
AVIA: Das Gegenteil der Emotionen erlebte Halvor Egner Granerud. Weißt Du näheres zu seiner Corona-Infektion?
Gerd Siegmund: Eine traurige Sache. Keiner weiß, wo er sich infiziert hat. Alex Stöckl sagt, dass er nur zweimal die Blase verlassen hat: Einmal, als er allein von der Schanze in Oberstdorf ins Quartier gejoggt ist und einmal zur Dopingkontrolle. Ansonsten war er ins Hygienekonzept der Norweger integriert: Das bedeutet: Einzelzimmer, Einzeltische beim Essen im Hotel, in dem das Personal auch getestet war, und so weiter. Es ist unglaublich schade für ihn, aber nicht zu ändern. Ich gehe davon aus, dass er bei den finalen Skifliegen in Planica ab 25. März wieder startet.
AVIA: Noch eine Frage in eigener Sache: Wie schätzt Du die erste Weltmeisterschaft von Martin Hamann ein?
Gerd Siegmund: Ich habe ihm zu dieser Saison gratuliert. Natürlich ist es ärgerlich, dass er es nicht ins Gold-Team geschafft hat. Er war ganz nah dran und wird aus der WM sicher lernen. Letztlich war Severin Freund besser und er ist jetzt Weltmeister. Ich glaube aber, dass Martin die WM als Motivation nimmt für die Zukunft. Vielleicht knackt er ja schon in Planica seinen persönlichen Rekord von 224 Metern. Das würde ihm dann einen richtigen Schub für die kommende Olympiasaison geben.
AVIA: Vielen Dank fürs Gespräch.