Jäger ist manchmal besser als Gejagter

AVIA-Skisprungexperte Gerd Siegmund zieht im Interview sein Halbzeitfazit der Vierschanzentournee und freut sich über Martin Hamann.


AVIA: Gesundes Neues Jahr, Gerd! Das können wir ja in diesen Tagen alle gut gebrauchen …

Gerd Siegmund: Danke, ebenso. Und das trifft auch für die Vierschanzentournee zu, wie man bei Marius Lindvik gesehen hat. Extrem schade, dass der Junge wegen seines Weisheitszahnes in Garmisch passen musste und aus der Tournee raus ist. Er hat eine Entzündung bekommen und wurde am Kiefer operiert. Damit hat sich leider bestätigt, was die Leser auf dem AVIA-Kanal schon im letzten Gespräch lesen konnten. Norwegens Trainer Alex Stöckl hat also nicht herumgedruckst und den Dritten von Oberstdorf verloren. 

AVIA: Wie gut ist denn Dein Draht ins deutsche Lager? Wer hat den hart umkämpften sechsten Startplatz für Innsbruck erhalten?

Gerd Siegmund: Nach meinen Informationen hat sich Stefan Horngacher entschieden, die internationale Gruppe beizubehalten. Der Bundestrainer wird neben Karl Geiger, Markus Eisenbichler, Pius Paschke, Martin Hamann und Constantin Schmid auf Severin Freund setzen. Das ist bitter für Richard Freitag, weil ich ihn im Aufwind sehe und er am Bergisel schon oft sehr stark gesprungen ist.

AVIA: Dafür bereitet Martin Hamann wieder viel Freude. Wie siehst Du seinen Einstieg ins neue Jahr?

Gerd Siegmund: Absolut positiv. Er ist jetzt schon das dritte Mal Elfter in dieser Saison gewesen. Ich bin mir sicher, dass er bald eine Top-10-Platzierung raushaut. Nach dem Dämpfer in Oberstdorf hat er erneut bewiesen, dass er zur erweiterten Weltspitze gehört. Wenn er bei der Tournee weiter in diesem Bereich kommt, steigen die Chancen für eine WM-Teilnahme enorm. Die Norm hat er bereits erfüllt. AVIA hat also ein gutes Pferd im Stall, wenn ich mal einen Ausflug ins Tierreich bemühen darf. 

AVIA: Ja klar. Es heißt auch, ein gutes Rennpferd springt immer nur so hoch wie es muss. Trifft das auf den Norweger Halvor Egner Granerud zu?

Gerd Siegmund: Na diese ganz große Leichtigkeit wie vor der Tournee sehe ich nicht mehr so. Durch seine große Konstanz bleibt er aber der Top-Favorit. Da sieht jeder Sprung wie von der Schablone gezogen aus. Aber sicher denkt auch er nach, kann sich nicht völlig dem Alltag und der Aufmerksamkeit in den Medien entziehen. Er weiß, dass es jetzt eben die Tournee und kein normales Weltcupspringen ist. Und dass der letzte Gesamtsieg eines Norwegers mit Anders Jacobsen 15 Jahre zurückliegt.

AVIA: Ein Wort zu den zwei deutschen Top-Springern: Waren sie diesmal beim Springen nicht ganz so locker drauf wie danach am Fernsehmikrofon, als sie sich gegenseitig interviewt haben?

Gerd Siegmund: Ich würde sagen, Neujahr war zwar nicht der Tag der Deutschen, aber sie sind nach wie vor sehr gut im Geschäft. Und manchmal ist es sogar besser, der Jäger als der Gejagte zu sein. Diese Rolle hat Geiger an Granerud abgegeben. Von beiden Deutschen war das sicher nicht die beste Leistung, aber sie sind noch bestens im Rennen.

AVIA: Eisenbichler mit 23,5 Punkten Rückstand, was ungefähr 13 Metern entspricht, auch?

Gerd Siegmund: Ja, wie schnell man mit einem Sahnetag aufholen kann, hat ja Dawid Kubacki eindrucksvoll gezeigt.

AVIA: Wie erklärst Du so eine große Leistungssteigerung in kurzer Zeit?

Gerd Siegmund: Da gibt es zwei Möglichkeiten. Zum einen, dass er beim Material, vielleicht im Anzugbereich, noch etwas gefunden und optimiert hat. Oder aber er hat in Garmisch so gut im Hotelbett geschlafen, dass er nun keine Rückenbeschwerden mehr hat. Von denen war ja vor der Tournee immer mal zu hören. Aber mal ganz im Ernst: Wir dürfen nicht vergessen, dass er nicht erst seit heute Weltklasse verkörpert. Er ist Weltmeister und der Titelverteidiger bei der Tournee. Dass Kubacki Skispringen kann, ist klar. Um das zu wissen, muss man kein Experte sein.

AVIA: Wir danken unserem Experten dennoch für die fachliche Einschätzung und neuen Informationen. 

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News: Wintersport
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